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Georg Herbstritt, Berlin 

21.9.2008 / Quelle: Zeitschrift "Horch und Guck", Heft 62, 4/2008 

 

Doppelt überwacht

Rumäniendeutsche Schriftsteller 1982 in den Akten der Stasi und der Securitate / Von Georg Herbstritt 

 

Im Herbst 1975 zerschlug die rumänische Geheimpolizei Securitate die „Aktionsgruppe Banat“, in der sich junge, deutschsprachige Schriftsteller zusammengefunden hatten. Sie hatten neue Formen der Literatur ausprobiert und von einem mehr oder weniger marxistischen Standpunkt aus sowohl die Traditionen ihrer rumäniendeutschen Landsleute als auch die Repressionen der sozialistischen Staatsmacht kritisiert.[1] Dieser Dissidentenkreis fand sich ab 1976, und personell erweitert, in dem schon länger in Temeswar (Timişoara) bestehenden Literaturkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“[2] erneut zusammen. Und wie selbstverständlich wurde er ebenfalls von der Securitate überwacht.

1982 spitzte sich die Situation wieder zu. Der Literaturkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“ kündigte am 10. Februar 1982 in der überregionalen deutschsprachigen Tageszeitung Rumäniens, dem Neuen Weg, seine nächste Veranstaltung an:

 

„Sitzung des Literaturkreises

wj. Temeswar. – Auf der nächsten Sitzung des Literaturkreises ‚Adam Müller-Guttenbrunn' in Temeswar wird Richard Wagner neue Gedichte lesen. Im zweiten Teil der am Donnerstag um 17 Uhr beim Sitz der Schriftstellervereinigung stattfindenden Zusammenkunft werden Lieder von Wolf Biermann zu Gehör gebracht.“[3]

 

Diese Meldung veranlasste höchst wahrscheinlich die DDR-Botschaft in Bukarest, beim rumänischen Außenministerium zu protestieren. Aus DDR-Perspektive musste es in der Tat als Provokation erscheinen, in einem „sozialistischen Bruderland“ Lieder des prominentesten DDR-Dissidenten, Wolf Biermann, öffentlich vorzuspielen, und dies trotz der allgemeinen Pressezensur auch noch in der Zeitung anzukündigen. Tatsächlich traf sich der Literaturkreis am 11. Februar zu seiner Sitzung. Doch zuvor war der Schriftsteller und Redakteur Horst Samson, der den Biermann-Liederabend initiiert hatte, vom regionalen Kreisparteikomitee nachdrücklich aufgefordert worden, sein Vorhaben nicht umzusetzen. Wie sich Horst Samson erinnert, wurden die Biermann-Lieder deshalb erst nach der Sitzung in einem kleineren Kreis in seiner Privatwohnung abgespielt.[4]

Auf den ersten Blick erscheint es mutig, dass der Biermann-Liederabend in der Zeitung angekündigt wurde. Doch Horst Samson wollte in dieser Zeitungsmeldung den Namen Biermanns überhaupt nicht erwähnt haben. Er hatte den zuständigen Redakteur des Neuen Wegs vielmehr sehr deutlich gebeten, den Namen nicht zu nennen, um möglichen Ärger zu vermeiden.[5] Ob es nur die Gedankenlosigkeit des Redakteurs war, dass es anders kam, oder ob hier vorsätzlich ein Anlass geschaffen wurde, um den Literaturkreis angreifbar zu machen, muss vorerst offen bleiben.

Drei Monate später ging die Securitate direkt gegen Horst Samson und seinen Kollegen William Totok vor. Am 14. Mai 1982 führte sie bei beiden Haussuchungen durch. Die Securisten begründeten ihr Vorgehen mit dem Protest der DDR-Botschaft gegen den Biermann-Liederabend. Dabei handelte es sich jedoch nur um einen Vorwand, denn dieser Vorfall lag inzwischen drei Monate zurück. In Wirklichkeit wollte die Securitate die Gedächtnisprotokolle von William Totok beschlagnahmen, in denen er die Erinnerungen an seine Haftzeit 1975/76 niedergeschrieben hatte. Totok war Mitglied der „Aktionsgruppe Banat“ gewesen und hatte nach deren Zerschlagung neun Monate in Untersuchungshaft gesessen.[6] Die Securitate hatte von ihrem Informanten „Voicu“ erfahren, dass William Totok seine Gedächtnisprotokolle an Horst Samson gegeben hatte. Um ihren Informanten zu schützen, behauptete die Securitate unzutreffender Weise, sie sei auf Initiative der DDR-Botschaft tätig geworden. Zum Schein beschlagnahmte sie bei Horst Samson tatsächlich die Tonbänder mit den Biermann-Liedern, und wie zufällig „entdeckte“ sie bei ihm dann noch William Totoks Aufzeichnungen, die sie ebenfalls mitnahm. Horst Samson und William Totok wurden in den folgenden Wochen mehrfach bei der Securitate verhört, eine längere Haft blieb ihnen aber erspart. In den Folgejahren verstärkte die Securitate den Druck auf die unbotmäßigen Schriftsteller, bis sie schließlich im Frühjahr 1987 das Land verließen und in die Bundesrepublik übersiedelten. Der damals einflussreichste politische Vertreter der deutschen Minderheit im Banat, der Schriftsteller und Journalist Nikolaus Berwanger, war bereits im Herbst 1984 in den Westen gegangen. Ihm war es bis dahin immer wieder gelungen, die jüngere Schriftstellergeneration vor staatlichen Repressionen zu schützen oder diese zumindest abzumildern.[7]

Kurz nach diesen beiden Vorfällen im Frühjahr 1982 reiste ein inoffizieller Mitarbeiter (IM) der DDR-Geheimpolizei, des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, „Stasi“) nach Rumänien und besuchte Anfang Juni 1982 auch Temeswar. IM „Buche“ war als Schriftsteller unbedeutend, spielte aber als Funktionär im DDR-Schriftstellerverband eine Rolle. Aus Sicht des MfS hatte er sich vor allem 1976 bewährt, als Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert wurde und etliche prominente DDR-Schriftsteller heftig dagegen protestierten. „Buche“ setzte auch in dieser Phase zuverlässig die Linie des MfS durch und half tatkräftig mit, gegen kritische Schriftsteller wie Reiner Kunze vorzugehen.[8]

Nachdem „Buche“ von seiner Rumänienreise zurückgekehrt war, erstattete er seinem Führungsoffizier Peter Trost ausführlich Bericht über die Vorfälle in Temeswar und darüber hinaus. Trost fertigte daraus eine Information, die untenstehend auszugsweise wiedergegeben wird. Darin werden die beiden Vorfälle vom Februar und Mai 1982 irrtümlich als ein zusammenhängender Vorgang geschildert. Entscheidend ist aber das Gesamtbild: „Buche“ stellte die Situation in Rumänien aus der Sicht des strengen, disziplinierten SED-Genossen dar, erzählte von einer selbstbewussten und eigenständigen Literaturszene in Temeswar und berichtete über geistige und ideologische Freiräume, die mit der offiziellen politischen Linie in der DDR nicht zu vereinbaren waren. Rumänien musste aus dieser Perspektive als ein Tollhaus erscheinen, in dem unhaltbare Zustände herrschten.

„Buche“ schilderte dem MfS unter anderem ausführlich eine kontroverse Diskussion, die er in einem kleinen Kreis mit Horst Samson führte. Sie diente ihm als ein Beispiel für die Gesinnung vieler rumäniendeutscher Schriftsteller. In diesem Kreis war „Buche“ jedoch nicht der einzige Informant. Die Securitate war mit ihrer Quelle „Voicu“ ebenfalls vertreten. „Voicu“ gehörte dem Literaturkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“ an und war als Redakteur der lokalen deutschsprachigen Tagezeitung, der Neuen Banater Zeitung, auch ein Arbeitskollege Horst Samsons. „Voicus“ Bericht ist untenstehend vollständig abgedruckt. Die Berichte beider Informanten sind stellenweise fast gleichlautend, an anderen Stellen widmen sie sich hingegen je eigenen Themen. Während „Buche“ eher die Freiräume hervorhebt, steht in „Voicus“ Bericht der Druck, dem die rumäniendeutschen Schriftsteller ausgesetzt waren, deutlicher im Vordergrund. Insofern unterscheidet sich die Wahrnehmung der beiden Informanten, die vom geheimdienstlichen Hintergrund des jeweils anderen nichts wussten.

Der wesentliche Unterschied bestand aber darin, wie die beiden Geheimpolizeien die jeweilige Information weiterverarbeiteten. „Buches“ Bericht wurde an die MfS-Zentrale nach Ost-Berlin weitergeleitet, um dort ausgewertet zu werden.[9] Das MfS war an derartigen Meldungen interessiert, weil Rumänien bereits seit den sechziger Jahren als unzuverlässiger Verbündeter galt. Die Zusammenarbeit zwischen MfS und Securitate war im Laufe der sechziger Jahre weitgehend eingestellt worden, Rumänien war aus Sicht des MfS ein „Operationsgebiet“.[10] Ein Informationsaustausch zwischen beiden Geheimpolizeien fand nicht statt; auch die Informationen von „Buche“ und „Voicu“ wurden nie zusammengeführt. Berichte wie die von „Buche“ dienten dem MfS also dazu, die Situation in Rumänien einzuschätzen.

„Voicus“ Meldung wurde vom zuständigen Securitate-Offizier hingegen unter dem Aspekt ausgewertet, welche Maßnahmen als nächstes eingeleitet werden sollten. Die entsprechenden Vorschläge des Führungsoffiziers finden sich direkt unter dem Bericht von „Voicu“. Die Informationen von „Voicu“ bildeten also die Grundlage für konkrete Repressionen gegen Horst Samson. Der zuständige Vorgesetzte des Securitate-Führungsoffiziers notierte als Fazit und Anweisung mit Rotstift auf der ersten Seite des „Voicu“-Berichts: „Samson ist ein feindliches Element. Er soll mit allen Mitteln bearbeitet werden, über die wir verfügen.“

Auch wenn die beiden Informanten über den gleichen Sachverhalt und die gleichen Personen berichteten, so unterschieden sich ihre Meldungen nicht nur hinsichtlich ihrer Wahrnehmung, sondern auch hinsichtlich der daraus resultierenden Konsequenzen.

 

* * *

 

Abteilung XX/7[11]

Gera, 12. Juli 1982

 

Information Nr. 211/82

 

Inoffizielle Information über einen Aufenthalt in Rumänien

 

Der IM hielt sich von Ende Mai bis Mitte Juni 1982 in Rumänien auf. Er hatte Gelegenheit, eine Reihe von Gesprächen zu führen. Im folgenden eine Einschätzung zu den Gesprächspartnern: [...][12]

 

Einschätzung/Bemerkungen zur Zeitschrift „Neue Literatur“

 

Da Genosse Stoffel von literarischen Dingen nicht viel versteht, ist Arnold der für den Inhalt verantwortliche Leiter. Beim Blättern in einigen Zeitschriften fiel mir auf, dass es offensicht­lich einen Hang für die Außenseiter in der DDR-Literatur gibt: Uwe Kolbe beispielsweise. Auf eine diesbezügliche Frage sagt Hauser, er habe auch von Lutz Rathenow Gedichte abgedruckt.

 

Im Kulturspiegel der Zeitschrift wird über den Tod von Künstlern, über Preisverleihung und anderes berichtet. Man liest alle möglichen unbedeutenden Namen. Den Namen Konrad Wolfs suchte man vergeblich. Die Zeitschrift „Neue Literatur“ hat die Auflage bekommen, bis Ende dieses Jahres Rentabilität nachzuweisen, ansonsten wird sie aufgelöst.

 

Mitarbeiter der Zeitschrift halten diesen Auftrag für unerfüllbar, da es aus Gründen der Pa­piereinsparung auch nicht gestattet ist, die Anzahl der Abonnenten zu erhöhen. Man ist der Meinung, dass die deutsche Minderheit damit weiter zurückgedrängt werden soll.

 

Gespräch im Literaturkreis Adam Müller-Guttenbrunn in Timisoara

 

Einschätzung Nikolaus Berwanger

 

[...] Nikolaus Berwanger ist Mitglied des Kreiskomitees der Partei in Timisoara, wohl sogar Mitglied des Sekretariats, Chefredakteur der deutschsprachigen „Neuen Banater Zeitung“, Sekretär des rumänischen Schriftstellerverbandes, Stellvertretender Vorsitzender des Volks­rates für die deutsche Bevölkerung in Rumänien, ein sehr einflussreicher Mann!

 

Er war höflich, zeigte aber sehr bewusst seine distanzierte Haltung gegenüber der Sowjet­union und der DDR. [...] Zu seinem Verhältnis zur DDR sagte Berwanger: Mitarbeiter der DDR-Botschaft hätten ihm vorgeworfen, er unternähme zahlreiche Reisen nach Österreich und in die BRD, in die DDR käme er nicht.

Er hätte es satt, immer wieder zu erklären, wie das mit den Rumäniendeutschen und der DDR sei. Die DDR-Botschaft kümmere sich nicht um die Rumäniendeutschen, behaupte aber, der Timisoarer Literaturkreis sei westlich orientiert. Das sei Unsinn. Sie, die rumänien­deutschen Schriftsteller, bemühen sich, weder ein Anhängsel der DDR-Literatur, noch ein Anhängsel der BRD-Literatur zu sein. Sie verstünden sich als eigenständige, unabhängige rumäniendeutsche Literatur. Sicher habe das, was hier in deutscher Sprache geschrieben wird, ziemliches Gewicht. Vielleicht nicht gleich, später ganz bestimmt. [...]

 

Nikolaus Berwanger ist Mitglied der Internationalen Lenau-Gesellschaft Stockerau (Ös­terreich), des Josef-Reichl-Bundes in Güssing (Österreich) und hat zahlreiche andere Ver­bindungen.

 

Einschätzung des Samson, Horst

 

H. Samson ist Dichter und Kulturredakteur in der „Neuen Banater Zeitung“. Er präsentiert die Durchschnittsmeinung des dortigen Literaturkreises. Er ist ein trotziger, junger Mann, sehr von sich überzeugt. Mir scheint, dass die Grundlage dafür unsichtbare Förderer sind.

 

An der Begegnung bei H. Samson nahmen etwa 7 Personen teil, Bekannte von Samson. Das Gespräch war sehr aufschlussreich, gab es doch einen Einblick in die Haltung zur DDR und unserer Literatur.

 

In dem Versuch der Gesprächswiedergabe werden die ideologischen Positionen von Samson und Berwanger sichtbar.

 

Es hatte sich im April oder Anfang Mai folgendes zugetragen:

In der deutschsprachigen Zeitung „Neuer Weg“, die in ganz Rumänien vertrieben wird, wurde eine Veranstaltung des Timisoarer Literaturkreises angekündigt, auf der Schallplatten mit Liedern von Wolfgang Biermann abgespielt würden. Dazu wurde eingeladen, als Verantwort­licher für die Veranstaltung war Horst Samson angegeben. Am Tag vor der Veranstaltung sei die rumänische Staatssicherheit in Samsons Wohnung erschienen und habe Haussu­chung gemacht. Es wurde ein Manuskript gefunden, das man Horst Samson mitgegeben habe, er solle es seinem Kollegen Totok geben. Es stellte sich heraus, dass es Texte von Totok waren, die gegen Ceausescu gerichtet waren. Samson wurde mitgenommen und ver­hört. Hätte sich ergeben, dass er vom Inhalt des Manuskriptes Kenntnis besaß, wäre Totok für 10 bis 15 Jahre ins Gefängnis gekommen.

 

Im abendlichen Gespräch wurde der Sachverhalt von Horst Samson so dargstellt.

Ohne Rücksprache mit dem Kulturattaché der DDR-Botschaft , Gen. [...] Rieger, wird als erwiesen angesehen, dass die DDR-Botschaft auf Grund der Ankündigung im „Neuen Weg“ die rumänische Staatssicherheit veranlasst habe, den Biermann-Abend zu verhindern und Untersuchungen in dieser Sache zu betreiben. Das aber sei eine grobe Einmischung in in­nere Angelegenheiten Rumäniens. Die DDR-Botschaft betreibe Kulturspionage und deshalb habe Berwanger recht getan, als er den Kulturattaché [...], der sich zu einem Gespräch angemeldet hatte, nicht empfing.

 

Im Gespräch über DDR-Literatur wurden folgende Positionen deutlich:

Samson, Horst fragte, ob DDR-Literatur überhaupt noch existiere, da doch die besten Leute davonliefen: Kunert, Sarah Kirsch, Jurek Becker. Dies sei ein unersetzbarer Verlust. Joachim Novotny wird in das Gespräch gebracht, Reaktion: Der? Das sei doch wirklich kein Beleg für Literatur. Samson hat von Novotny keine Zeile gelesen.

 

Der DDR-Gastlektor [xxx] habe in einem Vortrag Eva Strittmatter als bedeutende DDR-Lyrikerin bezeichnet, das sei doch unter dem Strich, erklärte Samson.

 

Als in abfälliger Weise von ihr gesprochen wird, wird ihm zu verstehen gegeben, dass es sinnlos ist, mit ihm zu streiten, da er sich selbst für den einzig gültigen Maßstab für Lyrik hält. Er sei offensichtlich der Nabel dieser Welt. Das hält ihn nicht davon ab, uns vorzuwerfen, wir würden große Dichter unterdrücken. Hier ginge er nicht nach eigenem Maßstab, sondern wer von Fühmann als großer Dichter anerkannt würde, der sei wirklich groß: Lutz Rathenow!

 

Auf das Verlangen, er möge einen Band/Buch von Rathenow nennen, der als Nachweis dieser Größe gelten kann, bringt er eine westdeutsche Anthologie, dort sind zwei Gedichte von Rathenow abgedruckt.

 

Ob ihm das als Nachweis für dichterische Größe genüge, wird gefragt. Antwort: Ihm genüge schon ein Gedicht: Es wird ihn auf den Kopf zugesagt: „Du hast die Nachricht von irgendwo bekommen, dass Rathenow ein paar Tage verhaftet war. Das ist für dich Beweis genug, für dichterische Größe.“ - keine Reaktion.

 

Samson war im vergangenen Jahr (1981) in der DDR. Mit dem deutschen Staatstheater. Er hat keine gute Meinung über uns. Er sagt: „Hätte man vor vier Jahren die Rumäniendeut­schen befragt, ob sie in die DDR ausreisen wollen, hätten 80 % zugestimmt. Heute keiner mehr, weil es in der DDR abwärts geht.“ [...]

 

                                      operativer Mitarbeiter

 

                                      [gez.] Trost

                                      Hauptmann

 

 

*  *  *

 

 

Samson ist ein feindliches Element. Er soll mit allen Mitteln bearbeitet werden, über die wir verfügen.[13]

 

Notiz

 

Im Zusammenhang mit Samson Horst informiert die Quelle:

 

Am 7. Juni ’82 kam Erich Kriemer, ein Schriftsteller aus der DDR, der Rumänien besucht, zur Quelle und teilte mit, „heute war ich in der NBZ[14]-Redaktion und habe dort Samson getroffen, der mich zu sich nach Hause eingeladen hat, folglich gehen wir heute Abend zu ihm.“

 

Bei Samson Horst auf der Calea Aradului waren anwesend Samson Horst - Samson Edda (seine Frau), Erich Kriemer, Mark Hilde (Kriemers Übersetzerin aus Bukarest, von der Neuen Literatur), Josef Reisenauer (Redakteur NBZ), seine Freundin, eine Lehrerin aus Lenauheim (die Quelle hat deren Namen nicht behalten), Helga Schleich und die Quelle.

 

Gleich nachdem sie angekommen waren, hat Samson Kriemer gefragt: „Herr Kriemer, wie ist es möglich, dass die DDR ihre wertvollsten Schriftsteller ins Exil in die BRD schickt?“

 

Kriemer: „Ich kann diesen Sachverhalt nicht so beurteilen, in meinem Land leben noch sehr viele Schriftsteller und wertvolle Dichter, aber es scheint, dass bei euch hier nur jene angesehen sind, die Skandal und Wirbel machen. Sie sollen wissen, lieber Samson, mir gefallen solche Schriftsteller nicht, die nicht aufgrund ihrer Werke, sondern wegen des Skandals wichtig werden.“

 

Samson: „Es scheint, dass unser Geheimdienst sich jetzt nach euch richtet. Bei mir haben sie eine Hausdurchsuchung gemacht, und wäre nicht Berwanger gewesen, dann glaube ich, würde ich jetzt im Knast sitzen. Man sprach geradezu von 15 bis 20 Jahren Gefängnis. Uns schicken sie nicht in die BRD, uns sperren sie ein. Gut, dass Berwanger uns da rausgehauen hat!“

 

Es kam im Gespräch auch die Rede auf die Zeitschrift „Neue Literatur“:

 

Samson: „Es geht das Gerücht um, dass die NL verschwinden wird. Dann haben wir, die deutschen Schriftsteller aus Rumänien, wirklich nichts mehr hier zu suchen. Es ist wahr, dass die Führung dieser Zeitschrift sehr schwach ist, sie müsste gewechselt werden. Auf jeden Fall, wenn die Zeitschrift aufgegeben wird, werden wir einen gemeinsamen Appell an Ceauşescu verfassen, ich bin sicher, es werden mindestens 25 Unterzeichner. Im Grunde genommen werden wir doch nicht immer mit allen Dummheiten einverstanden sein, die oben begangen werden.“

 

Über die NBZ sagte Samson:

 

„Es ist im Grund genommen eine sehr schwache Zeitung, aber der kulturelle Teil ist sehr gut, weil engagierte, kritische Texte veröffentlicht werden. Das ist das Verdienst von Berwanger, der sich einfach nicht von den Neostalinisten beeinflussen lässt. Berwanger hat keine Angst, vermutlich hat er gute Beziehungen auch nach oben, aber auch in den Westen, die – falls ihm etwas passieren würde – ihm sofort zur Hilfe springen würden, und ich glaube nicht, dass das Regime Ceauşescu daran interessiert ist, dass im Westen ein Artikel über die Unterdrückung der Intellektuellen in Rumänien erscheint.“

 

Die Quelle hebt hervor, Samson habe alle diese Einschätzungen von sich gegeben, ohne dass ihn jemand danach gefragt hätte, oder ohne dass jemand zuvor seine Meinung dazu gesagt hätte. Er redete ununterbrochen, lobte sich dauernd. Zur Quelle sagte er:

 

„Schau sie Dir doch an, diese Schultheiße, die einen Fußtritt in den Hintern bekommen haben (die Rede ist von den Lehrkräften, die entlassen wurden). Sie sind eine Herde von Schafen, mit denen man alles machen kann, was man will. Es sind Arschlöcher, Angsthasen. Die einzigen, die kämpfen, das sind wir Schriftsteller.“

 

Auch von dem „Transzendentalen Vorfall“[15] war die Rede:

 

Samson: „Man sucht Lückenbüßer für die elende Lage, in der wir uns befinden. So haben die Sekuristen die Transzendentalen entdeckt.“

 

Sehr viel wurde über Literatur diskutiert, vor allem über theoretische Fragen, über Poesie und Prosa. Kriemer erzählte viel über DDR-Literatur, über ihre Züge und künstlerische Bedeutung. Um Mitternacht ging die Quelle nach Hause, aber Kriemer und die Übersetzerin sind zusammen mit den anderen noch bei Familie Samson geblieben.

 

Temeswar, 11.06.82              Voicu

 

___________________

 

 

BEOBACHTUNGEN

 

- der fremde Staatsbürger wurde uns noch nicht als auffällig gemeldet

- Horst Samson wird bearbeitet und ist bekannt für seine feindselige Einstellung

- die anderen Personen sind uns nicht als auffällig gemeldet

 

AUFGABEN

 

- mit Samson Horst diskutieren, um festzustellen, was für Angaben er zu dem von uns beschlagnahmten Material sowie über die Maßnahmen gegen Totok Wiliam macht

 

- feststellen, ob Samson noch andere feindliche Briefe oder Übersetzungen besitzt und was er mit ihnen vorhat

 

MASSNAHMEN

 

Diese Notiz wird der Führung vorgelegt.

 

[gez.] Oberstleutnant Paduraru [und ein zweiter Securitate-Mitarbeiter]



[1] Ernest Wichner (Hg.), Ein Pronomen ist verhaftet worden. Texte der Aktionsgruppe Banat. Frankfurt/M. 1992.

[2] Adam Müller-Guttenbrunn (1852-1923), aus dem Banat stammender Schriftsteller, prägte mit seinen Heimatromanen nachhaltig das Geschichtsbild und die Identität der „Banater Schwaben“.

[3] Neuer Weg, 10.2.1982, S. 4. In der Neuen Banater Zeitung, der lokalen deutschsprachigen Tageszeitung in Temeswar, war keine derartige Ankündigung erschienen.

[4] Mitteilung Horst Samsons an den Verfasser vom 11.6.2008. Davon abweichend erinnert sich Samons Kollege Totok dahingehend, dass die Biermann-Lieder noch während der Sitzung abgespielt wurden; siehe William Totok, Die Zwänge der Erinnerung. Aufzeichnungen aus Rumänien. Hamburg 1988, S. 142. In welcher Form die DDR-Botschaft damals tatsächlich aktiv wurde, ist noch nicht feststellbar, da die Akten aus dem Bereich des DDR-Außenministeriums einer dreißigjährigen Sperrfrist unterliegen. Derartige Interventionen waren aber durchaus üblich.

[5] Mitteilung Horst Samsons (wie Anm. 4).

[6] Totok, Die Zwänge der Erinnerung (wie Anm. 4), S. 61-122; Totok beschreibt darin auch ausführlich die „Aktionsgruppe Banat“ und den Literaturkreis „Adam Müller-Guttenbrunn“.

[7] Vgl. Anm. 5 und 6 sowie www.horstsamson.de.

[8] MfS, BV Gera, Abt. XX/7, 15.12.1980: Auskunftsbericht zu IME „Buche“; BStU, MfS, BV Gera, X/872/80.

[9] Anschreiben der MfS-Bezirksverwaltung Gera, Abteilung XX, an die MfS-Hauptabteilung XX vom 16.7.1982; BStU, MfS, HA XX/AKG, 869, Bl. 87.

[10] Vgl. hierzu Georg Herbstritt, Ein feindliches Bruderland: Rumänien im Blick der DDR-Staatssicherheit. In: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 16(2004)1, S. 5-13.

[11] Editorischer Hinweis: Das folgende Dokument wurde an die neue Rechtschreibung angepasst, Schreibfehler wurden stillschweigend berichtigt; die Hervorhebung von Personennamen, wie sie im Original vorkommt, wurde nicht übernommen. Auslassungen sind durch [...] kenntlich gemacht, Anonymisierungen durch [xxx]. Das vollständige Dokument wurde in der Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik 17(2005)2, S. 118-123 veröffentlicht. Die damals vom Autor verfasste Einleitung in ebenda, S. 114-117, kann nun an einigen Stellen präzisiert werden. Das Dokument endet mit folgender Bemerkung des Führungsoffiziers: „Die vorliegenden Informationen wurden von einer ehrlichen und überprüften Quelle erarbei­tet. Da die Quelle zu diesem Zeitpunkt offensichtlich allein in Rumänien weilte, bitten wir bei der Auswertung der vorliegenden Information um Quellenschutz.“ Der IM „Buche“ wird in dem Dokument nicht explizit erwähnt; seine Urheberschaft ist nach dem Vergleich dieses Dokuments mit dem des nachfolgend abgedruckten Berichts von „Voicu“ jedoch plausibel. Nach dem in Anm. 6 genannten Auskunftsbericht wurde der Geraer Schriftsteller Erich Kriemer vom MfS als IM „Buche“ geführt. Weitere Hinweise fehlen, insbesondere wurde die eigentliche IM-Akte vermutlich 1989/90 vernichtet. Das Original des hier abgedruckten Dokuments befindet sich im Zentralarchiv der Stasi-Unterlagen-Behörde unter der Signatur BStU, MfS, HA XX/AKG 869, Bl. 88-95.

[12] Es folgen Einschätzungen u.a. über den Chefredakteur der Neuen Literatur, Emmerich Stoffel, und seinen Stellvertreter Arnold Hauser.

[13] Editorischer Hinweis: Die Übersetzung des rumänischen Originals fertigte Horst Samson an, dem ich hierfür herzlich danke. Es befindet sich im Archiv der Bukarester Securitate-Unterlagen-Behörde unter der Signatur ACNSAS, Dosar Nr. 4433, Vol. Nr. i 184942, betr. „Sandu“, S. 121-123. Im Original ist die Hälfte des Textes durch Unterstreichungen hervorgehoben. Obenstehend werden nur jene Textstellen unterstrichen, die im Original doppelt hervorgehoben wurden. Das gesamte Dokument ist handgeschrieben. Die einleitenden Sätze über Samson als „feindliches Element“ wurden von einem höheren Securitate-Offizier nachträglich als Fazit und Anweisung geschrieben. Der Informationsbericht selbst hat wiederum eine andere Handschrift als die nachfolgenden „Beobachtungen...“.

[14] NBZ: Neue Banater Zeitung, deutschsprachige Tageszeitung in Temeswar.

[15] In Rumänien wurde transzendentale Meditation damals als staatsfeindlich eingestuft und verfolgt.